Diese Woche habe ich bei einem Jugendtreff erzählt, dass ich fürs Radio arbeite. Die einhellige Meinung war: „Das ist cool, kann man Dich auch hören?“
„Ja klar, schaltet einfach das Radio ein.“
„Hab ich nicht. Ich hör gar kein Radio.“
Hören Jugendliche also kein Radio mehr?
Die Audioversum Studie 2022 der ARD kommt da zu einem anderen Entschluss. Von den 14- bis 29-jährigen hören 90% zumindest selten Radio. Im Schnitt sind es 98 Minuten Radio am Tag. Diese Gruppe hört auch über zwei Stunden Musik. Reine Musik ohne Moderatoren, die dazwischen quatschen. Musik, die sie selbst bestimmen. Insgesamt hören junge Menschen am Tag länger Audiomedien als die anderen untersuchten Altersgruppen – nur deutlich weniger Radio.
Trotzdem 98 Minuten Radio am Tag sind eine Menge – damit hören junge Menschen fast zehnmal so lange Radio wie Podcasts. Und Podcasts boomen, steht ja im Internet.
Die Studie zeigt nur einen Teil der Wahrheit
Allerdings ist die Altersgruppe der Audioversum-Studie sehr breit gefasst. Ein Vollzeitangestellter Mitte 20 hat eine ganz andere Lebenswirklichkeit als ein Bachelorstudent oder ein 15-jähriger Schüler. In keiner anderen Altersgruppe sind die Lebenswirklichkeiten der Menschen innerhalb der Gruppe so verschieden wie bei den unter 30-jährigen. Das macht es schwierig zu bewerten, ob Jugendliche noch Radio hören. Sind es vielleicht nur die Menschen Ende 20, die Radio hören? Die Audioversum-Studie kann das nicht beantworten.
Zu einem großen Anteil hören wir Audio-Medien, wenn wir unterwegs sind. Das Radio begleitet Berufspendler im Auto auf dem Weg zur Arbeit und bringt sie nachmittags nach Hause. Bei vielen läuft auch auf der Arbeit immer ein Radio.
Und die 15-jährigen aus dem Jugendtreff?
Die Schule steht zwei Straßen weiter, da haben sie keine lange Pendelzeit. In der Schule läuft auch kein Radio. Sie haben den halben Tag keine Möglichkeit Radio zu hören. Die meisten besitzen noch nicht mal ein Radiogerät. Stattdessen nutzen sie ihre Handys zum Medienkonsum.
Das Radio muss da hinkommen, wo die Jugendlichen sind.
Gut zwei Drittel der Audiomedien konsumieren Menschen unter 30 online. Laut der Onlinestudie 2022 von ARD und ZDF sind Menschen unter 30 täglich über fünf Stunden online, um Medien zu konsumieren. Ganz vorne mit dabei ist Instagram. Aber auch TikTok, Snapchat, Twitch und Reddit wachsen. Den Audiomarkt dominiert Spotify, gefolgt von Amazon und Youtube. Langfristig müssen Radiosender also auf diesen Plattformen präsent sein, wenn sie in der Lebenswirklichkeit von jungen Menschen präsent sein wollen.
Die Vielfalt der Onlineplattformen für Medien wächst. Das macht es nicht nur für Medienschaffende schwieriger zu ihrer Zielgruppe zu gelangen. Auch die Nutzer müssen bei diesem wachsenden Angebot den Durchblick behalten.
Die Stärken des Radios
Radio ist so schön unkompliziert: Ich muss mich nicht für ein Album, einen Interpreten oder eine Playlist entscheiden. Bei Netflix werde ich manchmal wahnsinnig, weil es einfach zu viele Optionen gibt. Oder Instagram zeigt mir 1000 Bilder und manchmal will ich die alle nicht sehen. Manchmal möchte ich mich nicht entscheiden, nichts liken. Ich möchte mich nur berieseln lassen. Nebenbei beim Kochen nicht allein in der Küche stehen.
Mein Lieblingsradiosender ist immer dabei. Es kommt sowieso nur Musik, die ich mag – über den neuen Apache-Song sehe ich mal großzügig hinweg. In drei Minuten erfahre ich, was sich in der Welt tut. Ich muss mich nicht für Musik oder Infos entscheiden. Zwischen den Songs noch ein Witz vom Moderator oder eine Geschichte von einem anderen Hörer. Die gute Laune ist gesichert. Radio verbindet, für mich ist Radio ein Stück Zuhause.
Die Zukunft des Radios heißt Gemeinschaft
Das Gefühl dabei zu sein. Dazu zu gehören. Diese Gemeinschaft ist es, was das Radio ausmacht. Und wo könnte das besser gelingen als auf Social Media? Jeder Influencer redet doch von seiner Community. Das Radio muss stärker crossmedial denken, um junge Menschen zu erreichen.
Leider läuft Social Media in vielen Redaktionen nur so nebenbei. In der Folge gibt es kein vertrautes Gesicht für den Social Media Auftritt. So kann ich keine Beziehung zu dem Channel aufbauen. Mir fehlt der Host, zu dem ich eine Beziehung aufbauen kann. Die Stärke des Radios, die Beziehung des Hörers zum Moderator, wird auf Social Media konsequent vernachlässigt.
Radio muss sich trotzdem abheben
Auf Twitch schauen Jugendliche täglich Streams, um dabei zu sein. Auf Youtube und Instagram bilden sie eine Community und warten ungeduldig aufs nächste Video. Wenn Radiosender auf Social Media gehen, wieso sind sie dann nicht einfach einer von vielen Anbietern? Wieso sollten Jugendliche dann zum Radio hören wechseln? Weil die Radiosender im Gegensatz zu Streamern und Influencern keinen Personenkult um sich aufbauen. Sie wollen mir nicht zwanghaft einen Rabatt-Code andrehen. Radiosender auf Social Media informieren und unterhalten. Sie machen das, was sie auch on Air machen.
Social Media wird nur eine weitere Facette des Mediums Radio. Es erweitert die Gemeinschaft. Ich verliere mich nicht in stundenlangem Online-Gedaddel, um immer dabei zu sein. Wenn ich das Handy weglege, schalte ich das Radio ein. Ich bin weiter Teil der Gemeinschaft, aber das Radio fordert nicht meine volle Aufmerksamkeit.
Fazit
Ich glaube das Radio wird überleben, weil sich Menschen nach einem persönlichen Medium wie dem Radio sehnen. Das Radio wird sich aber verändern. Das Radio kann nicht erwarten, dass junge Menschen einfach so anfangen Radio zu hören. Jugendliche müssen das Radio erst einmal kennen lernen. Sie bauen online eine Beziehung zum Radio auf, bevor sie anfangen den Radiostream zu hören. Sonst ist der Moderator kein Bekannter, sondern eine fremde Stimme, die die Musik stört.
Es muss dem Radio gelingen mit sympathischen Hosts auf Social Media-Plattformen ein Wir-Gefühl zu kreieren. Dann kann das Radio auch junge Menschen als neue Hörer gewinnen.